„Nur Öltank einbauen geht nicht mehr“
Interview - Der Wissenschaftler Henrik te Heesen spricht über Gas als „Brückentechnologie“ zur Energiewende
und über Berufe und Studiengänge im Energiesektor.
Herr Professor, wird das Jahr 2019 für den Energiesektor ein gutes oder ein schlechtes Jahr?
Für große Unternehmen steht dieses Jahr zum zweiten Mal nach 2015 verpflichtend ein Energieaudit an, um Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung und Energiekostenreduzierung in Unternehmen auszuloten. Damit lässt sich herausfinden, an welchen Stellen weitere Einsparpotenziale bestehen. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unterliegen zwar nicht der verpflichtenden Durchführung eines Energieaudits, dennoch gibt es für sie zahlreiche Möglichkeiten, sich hinsichtlich Energieberatung und Energieeffizienzmaßnahmen fördern zu lassen. Damit ist es auch für KMU hochinteressant, sich mit den Themen Energiekosten und Energieeffizienz zu beschäftigen. Für die Fotovoltaikbranche hingegen könnte 2019 ein schwieriges Jahr werden, da die EEG-Förderung für neue, mittelgroße Dachanlagen mit einer Nennleistung zwischen 40 und 750 kWp deutlich gekürzt wird. Dadurch wird die Wirtschaftlichkeit von neuen Dachprojekten sinken.
Wohin geht die Reise in der Energiebranche?
Die Energiewende in Deutschland wird noch Jahrzehnte dauern. Nach dem Atomausstieg ist der Kohleausstieg bis 2038 geplant, wenngleich schon 2020 begonnen wird, Stein- und Braunkohlekraftwerke abzuschalten. Das allein reicht aber nicht aus, um die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Oder um das langfristige Ziel des Pariser Klimaschutzübereinkommens zu erreichen, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf unter 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen. Für die Energiewende brauchen wir unter anderem mehr Fotovoltaik und Windanlagen. Gerade Fotovoltaik hat enorm viel Potenzial auf Dächern, weil es vergleichsweise günstig und konkurrenzfähig ist. Natürlich hängt die Wirtschaftlichkeit von PV-Anlagen stark von den übrigen Energiekosten im Unternehmen ab. Doch Unternehmen sollten hier langfristig denken, da sich die Umstellung nicht innerhalb einer Dreijahresplanung, aber in der Regel nach sieben bis neun Jahren rechnet.
Für die Energiewende braucht Deutschland auch den Netzausbau, vor allem zwischen Nord und Süddeutschland, denn die Stromenergie ist an Nord- und Ostsee vorhanden. Die großen Stromverbraucher sitzen aber im Süden. Momentan wird die überschüssige Energie aus Norddeutschland häufig nach Holland oder Polen exportiert, was nicht optimal ist und auch die dortigen Energieproduzenten empört.
Welche Entwicklungen sind in diesem Bereich zu erwarten?
Die Wegtrassen sind längst geplant – sowohl Oberleitungen als auch Erdkabel. In der Bevölkerung werden Erdkabel eher akzeptiert, da sie nicht sichtbar sind. Aber das Verlegen von Erdkabeln ist vier- bis achtmal so teuer wie Oberleitungen. So geht der Netzausbau nur langsam voran – wegen politischen und zivilen Widerständen nach dem Motto: „Netzausbau ja, aber bitte nicht in meinem Vorgarten“. Historisch wurde Energie in Deutschland immer dort hergestellt und genutzt, wo man sie brauchte. Der Stromtransport über lange Distanzen ist ein Novum für das deutsche Stromnetz.
Kann man den Netzausbau-Diskurs nicht mit Anreizen steuern?
Die Bundesnetzagentur als verantwortliche Behörde fördert und unterstützt den Dialog und den Austausch der unterschiedlichen Zielgruppen beim Netzausbau. Eine erfolgreiche Maßnahme, um die Bevölkerung vom notwendigen Stromnetzausbau zu überzeugen, ist die Präsenz vor Ort. Veranstaltungen mit Vorträgen und Diskussionen helfen, falsche Informationen zu korrigieren und Missverständnisse aufzuklären.
Welche (regenerativen) Erzeugungsanlagen gibt es in der Region?
Es gibt Fotovoltaik auf Freiflächen und Dächern, außerdem Windräder und punktuell Biomasseheizkraftwerke, wo zum Beispiel mit Alt- und Restholz Energie erzeugt wird. In Rheinland-Pfalz und dem Saarland gibt es auch etliche Wasserkraftwerke entlang der Saar oder an der Mosel, begünstigt durch 16 Staustufen.
Wie stehen Sie zu Gas als „Brückentechnologie“ auf dem Weg zur Energiewende?
Verbranntes Erdgas ist nur halb so schädlich wie Kohleemissionen, allerdings auch nicht sauber wie regenerative Energie. Es wird interessant, wenn man überflüssigen Strom nutzt, um Gas herzustellen. Beim sogenannten Power-to-Gas-Verfahren wird Wind- und Solarstrom in Wasserstoff oder Methan umgewandelt – und kann gespeichert werden. Leider ist dieses Verfahren momentan noch viel zu teuer. Allerdings ist auch Fakt, dass wir enorme Kapazitäten für Erdgasnutzung und -speicherung haben: In Deutschland sind rund 24 Prozent des Speichervolumens der EU installiert. Das entspricht ungefähr einem Drittel des Jahreserdgasverbrauchs in Deutschland.
Welche Berufe, Ausbildungsinitiativen und Studiengänge gibt es im Energiesektor?
Das Angebot ist mittlerweile breit gefächert und reicht von klassischen Wirtschaftsingenieur- und Energietechnik-Studiengängen bis hin zum Bachelor in erneuerbaren Energien, den wir auch hier am Umwelt-Campus Birkenfeld anbieten. Viele Absolventen arbeiten anschließend als Ingenieure in Bürogemeinschaften, Unternehmen oder öffentlichen Organisationen. Andere arbeiten als Energiemanager in Unternehmen. Auch Menschen, die eine Ausbildung als Elektriker, Dachdecker oder im Heizungs-Sanitär-Bereich machen, müssen sich heute mit regenerativer Energie auskennen.
Welche Gesetze und Verordnungen sind für Unternehmen maßgeblich?
Neben dem Energieaudit, das 2019 ansteht, müssen Unternehmen unter anderem das sogenannte Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) beachten, das neben dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) den Ausbau erneuerbarer Energien im Wärme- und Kältesektor bei der energetischen Gebäudeversorgung vorantreiben soll. Das heißt: Wer baut, muss energieeffizient vorgehen – und mehr regenerative Energien nutzen. Nur Öltank einbauen wie früher, geht nicht mehr. Wer sich informiert, kann als Unternehmer Geld profitieren. Für Umrüstungen oder Neuanschaffungen gibt es Fördermittel, und durch die Rückerstattung von Energiesteuer kann man mehrere Tausend Euro sparen.
Wie stark ist die Digitalisierung im Energiesektor vorangeschritten?
Die Digitalisierung des Energiesektors steckt noch in den Kinderschuhen. Zwar werden immer mehr intelligente Zähler („Smart Meter“) installiert, jedoch gibt es bisher erst wenige Geschäftsmodelle, um Energiedaten zu nutzen – und damit Unternehmen von der Digitalisierung des Energiesektors profitieren. Sowohl für die Energieversorger als auch für Verbraucher gibt es hier in den nächsten Jahren ein großes Potenzial zur Senkung von Energiekosten.
Wenn Sie einen Wunsch für die Energiewirtschaft frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Die Abkehr vom rein wirtschaftlichen Fokus bei der Energiewende: Die Energiewende kostet nun mal Geld. Die Technik zur Erreichung der Klimaziele ist vorhanden. Hierzu gibt es leider keine belastbaren Zahlen. Wenn wir das Geld heute nicht einsetzen, werden die Folgekosten in etwa 30 Jahren in die Billionen Euro gehen. Maßnahmen, die nicht nur Unternehmer umsetzen sollten, sind die Reduktion von Flugreisen, Umstellung auf Ökostrom, Anschaffung energieeffizienter Maschinen und möglichst die Elektrofahrzeugnutzung.
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