Diese Ausstellung findet statt im Rahmen des Schmucksymposiums ThinkingJewellery XII
"Stein wird fließen, Blätter werden sinken" ist eine japanische Redewendung. Es handelt sich um eine Metapher, die verwendet wird, um ungewöhnliche oder widersprüchliche Abweichungen von erwarteten politischen Ergebnissen oder Bedingungen anzuzeigen. Der Ausdruck verurteilt unethische politische Entscheidungen oder ungerechtfertigte Aspekte der Gesellschaft und wird daher verwendet, um Ungleichgewichte sowohl im japanischen als auch im internationalen politischen Umfeld zu kritisieren oder zu korrigieren.
Taniyamas kreative Inspiration ist durch das Konzept der "Ubiety" motiviert, der Qualität des Seins, die die Qualität des Zustands in einem Raum ausdrückt. Geleitet von der scheinbar einfachen Frage "Wo bin ich jetzt?" beschäftigt sich Taniyama mit der Verwirrung des Individuums, die durch die Globalisierung zunehmend verstärkt wird.
Wir stehen im flachen Küstenwasser. Die nackten Füße greifen in weichen Sand, der von Flüssen von der mitteldeutschen Kristallinschwelle hertransportiert und, von den Wellen milliardenfach um und um gewendet und gewaschen schließlich hier abgelagert wird. Wir befinden uns im Devon. Das Wetter ist gut.
Zwischendurch werden wir von der dritten Orogenese auf 5 Kilometer Höhe angehoben, das Wasser zieht sich zurück, das Karbon rückt näher, unser Strand wird zu Sandstein verpresst und schließlich durch den sehr feinkristallinen Quarz-Anteil zu Felsquarzit zementiert.
Kyoco Taniyama setzt den Bohrhammer an. Der Bohraufsatz dreht ein sandiges Mehl nach oben, das sich um das Bohrloch herum weich absetzt. Diese Partikel hatten vor 400 Millionen Jahren Kontakt zum Meerwasser, bevor sie überlagert wurden und in der eben nicht (!) ewigen Dunkelheit verschwanden. Ein kurzer Moment des Lichts, dann das neue Dunkel meines Industriestaubsaugers.
Es ist genauso profan wie es als Vorstellung spektakulär ist. Wenn man den Zeitraffer so hochdrehen würde, dass in einer Sekunde ein Tag und eine Nacht vergehen würden, also nur ein graues Rauschen wahrnehmbar wäre, müßten 4629 Tage vergehen, um 400 Millionen Jahre abzuspulen.
zum Glück - oder leider - können wir das nicht. Leider nur deswegen, weil es ins Extrem getrieben, ein Manko, eine Unfähigkeit unsererseits illustriert: wir sind unfähig, in großen Zeiträumen zu denken und zu planen. Darum läßt uns der Klimawandel, obwohl wir täglich neu mit Diagrammen und Berechnungen überhäuft werden, in der Mehrheit weitesgehend kalt. Wir bleiben weiter unverbesserlich hyperaktiv, anstatt mal ein, zwei Millionen Jahre zurückzuschalten.
In der Begrifflichkeit des Rhythmus ist eine Pause eine leere Dauer. Ein Rhythmus ist eine der beiden horizontalen Dauerstrukturen von Einzel-Schallereignissen. (Zitat Wikipedia)
Ich würde behaupten, der längste von uns noch als rhythmische Wiederkehr wahrgenommene Zeitraum ist die Abfolge der Generationen, also ca. 3 beats pro Jahrhundert.
Ein betörendes Beispiel eines Polyrhythmus, also eine Schichtung von Rhythmen gleicher Gesamtdauer (in diesem Fall der begrenzten Haltbarkeit einer Maschine oder der Verfügbarkeit von antreibender Energie) ist das eine der zwei Videos von Kyoco Taniyama. Sie hat die ganz wunderbar weichgeklopften, eingeschliffenen geschmeidigen Maschinen und Maschinchen in der Bengelstiftung gefilmt und wie eine Ärztin mit dem Stethoskop die leicht vibrierenden Maschinenkörper mit einem Kontaktmikrophon abgelauscht. Ab und zu wurde aus dem Ölkännchen nachgeschüttet, mit einem Grundstoff, der auf das wie anfangs beschrieben heraufziehende Karbon zurückgeht, also unwesentlich jünger als die Steine ist.
Alle Religionen preisen die spirituelle Qualität der Wiederholung. Ein Mantra, ein Rosenkranz, der Tanz eines Derwischs entfalten ihre hypnotische Sogwirkung durch die Unabsehbarkeit eines Endes. In den analogen mechanischen Rhythmen der Maschinen bleibt eine solche Wirkung noch spürbar. Gerade weil sie nicht 100% gleichmäßig laufen. Manchmal verschlucken sie sich und man ahnt die latente Gefahr des Blockierens oder eines Ermüdungsbruchs… man kann Maschinen oder Werkzeuge als Freunde empfinden und bezeichnen, Kyoco Taniyama macht das ausdrücklich. Algorythmische Vorgänge, denen wir uns jetzt in allen Bereichen mehr und mehr anvertrauen, machen keine Fehler, aber unter Umständen alles grundsätzlich falsch, und das ist ein bedeutender Unterschied. Können wir Prozessen trauen, die nur das perfekte Funktionieren oder den vollkommenen Ausfall kennen ? 1 oder 0 ?
alles dreht sich, die Vinyl-Schallplatte, die, in einer neuen Technik hergestellt geschnitten, nicht gepresst ist, was kleinste Auflagen erlaubt, die Wellen und Transmissionsriemen, die riesigen Schleifsteine an unseren lokalen Flüssen. Abrieb und Bruchstücke, aufgegebene Werkstücke landen in der Nahe, im Nahebogen kann man sie nach wie vor finden. Sie drehen sich im Strom bis ihr Erscheinungsbild weich ist. Glatt wie die Kinderpopos der Renaissance-Putten.
Wie ein befreundeter Arzt mir erklärt, ist der Biorhythmus des Lebens zirkulär, nicht linear. Wir drehen die gleichen elyptischen Runden wieder und wieder. Wir erleben die gleiche Überraschung oder Erkenntnis wieder und wieder. Oder verpassen sie wieder und wieder, obwohl sie wiederkehrt wie die Sonne.
Mit dem Licht der Sonne sind die im oberen Raum hängenden Cyanotypien belichtet. Dieses Verfahren ist auch als Eisenblaudruck bekannt und wurde 1842 von John Herschel als eines der frühen fotografischen Edeldruckverfahren erfunden. Einfach erklärt wird das Papier mit einer chemischen Eisenlösung präpariert, bei der das Eisen unter UV-Licht blaue Kristalle bildet. Die nicht dem Licht ausgesetzte und zu Kristallen umgewandelte Lösung kann mit Wasser ausgewaschen werden.
Abgebildet sind die Schatten der auf dem Boden ausgebreiteten Steine. Man nimmt als selbstverständlich hin, daß sie den Schatten von Bergen oder Gebirgen gleichen.
Im zweiten gezeigten Video tauchen aus der Unschärfe Klippen und Berge auf bevor sie wieder in der Unschärfe verschwinden. Für einen Moment sind sie am Farbduktus oder der sichtbaren Leinwandstruktur als Malerei zu identifizieren. Dann wieder ist ein Standbild der Felswand über Oberstein, in dem sich die Bäume bewegen, etwas, das die Malerei nicht leisten kann und nicht zu leisten braucht.
Kyoco Taniyama ist in der Region nicht bekannt, in Japan über den Status des emerging artists aber weit hinaus. Sie hat Japan-weit mehrere große Arbeiten im öffentlichen Raum, in Eingangshallen von Hospitälern oder Firmen etwa, verwirklicht, . Ihre Liste von weltweiten Einzel- und Gruppenausstellungs-beteiligungen ist lang und von beeindruckend hohem künstlerischem Niveau.
2018/19 war sie artist in residence in Berlin, wo sie geblieben ist und seitdem lebt.
Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung der Hochschule Trier, Campus IO, und die Hilfsbereitschaft der Bengel-Stiftung, des Mineralmuseums IO und des Steinbruchs in Allenbach.
Hans Benda , Oktober 2021
Eröffnung: 16 Oktober 2021 um 19:00 in Galerie CHROM VI in Idar-Oberstein.
Die Ausstellung ist geöffnet am So. 17. Oktober sowie Sa. 23. und So. 24. Oktober, jeweils von 14 bis 18 Uhr. Darüber hinaus bis zum 25.11.2021 nach telefonischer Vereinbarung. Es gelten die aktuellen Corona-Abstands- und Hygiene-Regeln.
Chrom VI, Ritterstraße 11a, Hinterhof, 55743 Idar-Oberstein
benda(at)chromvi.com
www.chromvi.com
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