Vanessa Zöller BFA

Bachelor-Thesis: "ÜBER DEMUT"

Betreuung: Prof. Theo Smeets, Prof. Eva-Maria Kollischan

Nicht umsonst habe ich für meine Bachelorthesis das Thema ‚Demut‘ gewählt. Zwischen den archaischen Materialien, die ich verwende, liegt eine unendlich große Spanne von Demut, Leid, Hoffnung und Erlösung. Der schmerzhafte Prozess, den der Mensch durchlaufen muss, durch den er eine Reinigung erfährt und schließlich ‚heil wird’, Verzeihung und Vergebung sind Elemente, die ich durch meine Arbeit, zu kommunizieren suche.

Eine Funktion des Mediums Schmuck ist es, die Makel, Unzulänglichkeiten und Fehler des Trägers zu überdecken, bzw. davon abzulenken. Ich habe mir die Frage gestellt, ob Schmuck eben diese Merkmale auch offenbaren kann, ob er dem Träger die Würde geben kann, zu zeigen, wer er im Innern ist. Infolge meines Studiums erfuhr ich, dass auch körperbezogene Objekte/Installationen die Funktion von Schmuck als etwas, das einen Nachdruck beim Kunsterfahrenden hinterlässt, transportieren können.
Demütig ist, wer seiner eigenen Menschlichkeit begegnet. Wer sich eingesteht, dass er endlich und unzulänglich ist.
Wer das Geheimnis, das sein Nächster ist, respektiert und sich der Gnade seiner Mitmenschen überlässt.
Wer sich einem Wertzentrum der seienden Dinge gegenüber verpflichtet weiß.
Diese Haltung kann zwar nach außen getragen werden, das Erlangen einer inneren demütigen Haltung muss jeder Mensch jedoch mit sich selbst ausmachen. Man muss bereit dazu sein, sich selbst zu reflektieren, gegebenenfalls das alte Ich zurücklassen, sich selbst einer Prüfungssituation unterziehen, um zu einer veränderten Existenz gelangen zu können. All das ist ein sehr intimer Vorgang, den man -sei es aus Scham, also der Angst vor dem eigenen Liebensunwert- mit niemandem teilt.

Um das alles auszudrücken, habe ich mich dazu entschlossen, eine größere Bandbreite an künstlerischen Medien zu nutzen. Ich habe in meiner Abschlussarbeit einen Raum der Klausur geschaffen.
In diesem Raum begegnet man sich selbst. Man ist dort in einer intimen Situation, die die Möglichkeit zur Selbstreflexion bietet. Die eigene Person wird in Frage gestellt, Werte werden in Frage gestellt, Ängste und Schwächen werden offenbart. Eine ‚Zerknirschung des Herzens‘ erfolgt, man wird demütig. Dennoch spendet der Raum auch Hoffnung. Er offenbart, dass es nichts gibt, wofür man sich schämen muss. Ich als Erschafferin des Raumes offenbare dort mein intimes Inneres, in dem sich der Betrachter des Raumes vielleicht selbst wiedererkennt und somit erfährt, dass manche Dinge einfach menschlich sind. Dass man sich dessen bewusst ist, was man ist und was man nicht ist. All das dürfte keinem Menschen unbekannt sein. Meine Arbeit ruft es ins Bewusstsein.

 

Stell dir vor, du bist in einem Raum.
Du bist ganz alleine in diesem Raum. Der Raum ist klein. Es gibt nur Platz für dich.
Es ist nicht besonders hell. Es gibt ein Fenster irgendwo, aber du kannst es nicht sehen.
Der Geruch von Weihrauch steht in der Luft, es riecht wie in einer alten Kirche hier.

Das ist mein Raum. Das ist ein Raum, in dem du nicht existierst. In dem niemand existiert; Außer ich. Das ist mein Raum. Das ist ein Raum, in dem du nicht existierst. In dem niemand existiert; Außer ich. Das ist mein Raum. Das ist ein Raum, in dem du nicht existierst. In dem niemand existiert; Außer ich.

Jemand spricht diesen Satz immer wieder. Du hörst ihn aus verschiedenen Ecken des Raumes. Eine Stimme flüstert kaum hörbar. Eine andere fleht.
Dann wird sie lauter, bestimmter, sie schreit. Und flüstert wieder. Eine dritte ist monoton. Die Stimmen überlagern sich wie in einem Kanon.
Du versuchst dich zu orientieren.
Im Zentrum des Raumes steht ein Bett. Es ist am Kopfende aufgebahrt. Ein weißes Betttuch hängt nur locker im Rahmen. Ist das dein Bett? Hast du dort geschlafen?
Das Betttuch hat viele Flecken. Du musst es eine lange Zeit über benutzt haben. Warst du krank?
Neben dem Bett stehen mehrere Weingläser auf dem Boden. Manche sind zerbrochen. Die Gläser stehen auf deinem aufgeschlagenen Skizzenbuch. Auf den Seiten sind viele Buchstaben, aber du kannst nicht lesen, was dort steht. Die Worte überlagern sich vielfach.
An der Wand it ein Regalbrett befestigt. Darauf steht ein Rahmen, in dem sich einmal das Hochzeitsfoto deiner Eltern befunden hat. Nun ist ein anderes Foto eigerahmt.
Auf dem Foto bist du zu sehen. Du sitzt auf deiner Fensterbank. Du kannst dich nicht genau erkennen, dein Umriss ist verschwommen. Es hat draußen geregnet. Es ist Nacht. Der nasse Asphalt ist in das orangefarbene Licht der Straßenlaternen getaucht. Du siehst auf die Straße. Du trägst Unterwäsche. Ist dir nicht kalt?
Du wendest deinen Blick ab von der Fotografie und beugst deine Knie, um dich vor einen kleinen Hocker auf den Boden zu knien. Der Hocker liegt verkehrt herum. Er steckt die Beine in die Luft, sein mit rotem Samt bezogenes Polster berührt das Parkett. Sein Bauch ist mit Teelichtern gefüllt. Manche von ihnen haben schon einmal gebrannt. Wirst du sie noch einmal anzünden?
Vor dir an der Wand hängt ein Spiegelschrank. Du versuchst dein Spiegelbild zu sehen, aber es gelingt dir nicht. Ein Lappen aus Leder hängt anstelle von Türen in den Scharnieren und versperrt dir den Blick.
Du traust dich nicht, ihn zu berühren.
Während du hier kniest, stößt du versehentlich gegen etwas, das sich hinter dir befindet. Du drehst dich um und siehst ein Nähkästchen am Fuße des Bettes stehen. Du betrachtest es genauer. Es enthält viele Rollen roten Garnes.
Ein kleiner goldener Tischaltar liegt auch darin. Du hast das Heiligenbild herausgelöst und durch einen Spiegel ersetzt. Außerdem bewahrst du eine Hostienpyxis in deinem Nähkästchen auf. Aus der Hostie, die in der Pyxis liegt, hast du sehr präzise den Umriss des Dollarzeichens ausgeschnitten.
Deine Rosenkränze liegen in dem größten Fach des Nähkästchens. Es sind viele. Du hast einen Zimmermannsnagel dazu gelegt. Bewahrst du den Nagel für einen speziellen Zweck auf?
Mit dem roten Garn hast du dir zwei Kleider genäht. Sie hängen auf Bügeln in der Ecke neben dem Kopfende deines Bettes. Du hast weißes Leinen verwendet. Du hast nicht besonders sauber gearbeitet. Die langen Enden des Garns hängen überall aus den Nähten der Kleider. Sie sehen aus wie Adern.
Die Kleider sind sich sehr ähnlich. Sie scheinen sich anzusehen. Sie sind wie kleine Mädchen, wie Zwillinge. Zu ihren Füßen sind zwei Waschbecken aneinander gestellt, als seien sie überdimensionierte Muscheln. Alle Löcher der Becken hast du mit deinen eigenen Haaren verstopft.
Die einzige Kette, die du besitzt, hängt ebenso am Kopfende des Bettes an einem Haken. Du hast sie selbst gemacht. Aus den Trinksaugern von zehn Babyflaschen. Wolltest du zehn Säuglinge auf einmal nähren? Bist du ein Tier?
Nebenbei läuft ein Film. Er zeigt eine Episode aus deinem Leben. Aus dem Hahn des kleinen Waschbeckens neben der Tür tropft stetig Wasser. Es tropft auf eine Seife. Die Seife scheint zu bluten. Rotes Wasser rinnt in das Becken. Du fragst dich, wo du hier deine Notdurft verrichten kannst. Es gibt keine Toilette.
Nur ein Toilettenstein erinnert an ihre potenzielle Existenz. Er hängt an einer langen Kette aus Eisen von der Decke. In der Toilettensteinhalterung aus Plastik ist keine Seife mehr. Anstatt dessen hast du einen geschliffenen Bergkristall hineingetan. Der Stein trägt eine Inschrift. Die Inschrift ist mit deinem Blut gefüllt. Am Boden verschwindet die Eisenkette unter einem zerbrochenen Teller aus weißem Porzellan.
Als du den Raum verlassen willst, bemerkst du, dass über der Türe kein Kruzifix mehr hängt. Du hast es abgenommen.
Nur noch der Nagel ist geblieben und ein kreuzförmiger Umriss aus Schmutz.

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