Wenn man an Schmuck denkt, dann kommen einem Ohrringe in den Sinn, Ketten oder Eheringe. Man denkt an Brillanten, Juweliere und Uhrmacher – nicht an heftige Gitarrenriffs und Schlagzeugklänge. Doch die Ausstellung, die derzeit im Museum des Böhmischen Paradieses in Turnov zu sehen ist, trägt den Titel „Let There Be Rock“. Der Song der australischen Hard-Rock-Band AC/DC wird dabei in einem Wortspiel anders verstanden: „Rock“ meint in Turnov nicht die Musikrichtung, sondern Steine und Klunker, wofür das englische Wort „rock“ auch steht.
Bei der Ausstellung gibt es Schmuckstücke von Studierenden und Absolvent*innen der Fachrichtung Edelstein und Schmuck aus Idar-Oberstein zu sehen. Miroslav Cogan arbeitet im Museum des Böhmischen Paradieses als Kurator und nimmt mich mit durch die Exposition. Mitunter ist kaum zu erkennen, dass es sich bei den ausgestellten Schmuckstücken um Kunstwerke aus Stein handelt. Wir befinden uns im ausgeleuchteten Keller des Museums, der „Schatzkammer“ genannt wird. Unsere Köpfe sind über eine der Vitrinen gebeugt, in der ganz unten eine Art Kette liegt. Eine Nackenauflage, mehrere großformatige Kugeln, und links und rechts schließen sich im rechten Winkel symmetrische röhrenartige Vorrichtungen an. Wenn man sich den Träger der Kette dazudenkt, liegt unter dem Kehlkopf eine Art Tubus mit einem Glockenklöppel darin. All das scheint auf den ersten Blick aus rostigem Metall hergestellt worden zu sein. Doch Miroslav Cogan korrigiert: „Das ist alles aus Stein, auch wenn es nicht so aussieht. Natürlich sind teilweise auch andere Materialien verwendet worden, aber in diesem Falle handelt es sich um Jaspis. Die Kette sieht zwar aus, als wäre sie aus Holz oder Keramik, sie besteht allerdings aus Stein.“
Wenn man mit Miroslav Cogan durch die Ausstellung geht, kommt er aus dem Schwärmen kaum heraus. Wir bleiben an einer weiteren Vitrine stehen, in der fünf filigrane Broschen nebeneinander liegen. Es sind jeweils circa zehn Zentimeter lange Stränge, die an einer Stelle in sich verwunden sind. Das Material ist hell und fast durchsichtig. Miroslav Cogan: „Das hier ist großartig. Die Broschen sind aus Achat herausgeschliffen. Es scheint aber, als wären sie aus flexiblem Plastik. Stücke wie diese sind unfassbar schön und auch technisch auf Spitzenniveau. Ich denke, dass diese Exponate die Künstler, Steinschleifer und Kunsthandwerker in Turnov inspirieren werden. Womöglich sehen sie das Material Stein nun mit anderen Augen. Zum Beispiel könnten sie überlegen, was man mit so einem Achat noch alles machen kann.“
Dass Schmuck aus dem rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein im böhmischen Turnov ausgestellt wird, ist kein Zufall. Beide Städte sind in ihren Ländern die Zentren der Schmuckgestaltung und Steinschleiferei – und das schon seit Hunderten von Jahren. Bei einem Rundgang durch die Dauerausstellung im Museum des Böhmischen Paradieses wird die besondere Rolle Turnovs für die Schmuckgestaltung in Tschechien deutlich. Miroslav Cogan erklärt, dass etwa Granate und Rauchquarze an vielen Orten in Tschechien gefunden wurden. Aber Saphire würden in ganz Europa nur in Turnov und dem nahegelegenen Isergebirge auftreten.
Die Dauerausstellung befasst sich auch mit Mineralogie und Geologie. Sie zeigt den Weg zum fertigen Schmuckstück und zeichnet nach, wie sich die Schmuckgestaltung im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Aufgrund der hohen Edelsteindichte wurden im heutigen Turnov nämlich bereits seit der Steinzeit Fundstücke bearbeitet.
Ganz so weit reichen die gemeinsamen Beziehungen mit der deutschen Schmuckstadt Idar-Oberstein nicht zurück. Miroslav Cogan erzählt aber, wie ein Technologietransfer die beiden Städte bereits im 19. Jahrhundert verbunden hat.
„Gustav Postler lernte hier in Turnov in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, wie man sehr harte Steine schleift, also etwa Saphire, Rubine und Smaragde“, erklärt mir Miroslav Cogan. „Dieses Know-how brachte er dann nach Idar-Oberstein. Dort hatte man bisher nur Quarzsteine bearbeitet, also zum Beispiel Amethyst, Achat und Jaspis. Erst nachdem Gustav Postler in den Ort kam, wurden diese harten Steine dort geschliffen.“
In Turnov, wo seit Jahrhunderten Schmucksteine gefördert und verarbeitet wurden, kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Stagnation der Entwicklung. In Idar-Oberstein sah das anders aus. Der Kurator:
„Bis zu dem Zeitpunkt war Turnov eines der weltweiten Zentren für das Schleifen von Edelsteinen. Plötzlich orientierte man sich hier aber nur noch auf die Staaten des Ostblocks. Unsere Stadt verlor den Zugang zu hochwertigen Rohstoffen und zum internationalen Know-how. Und auch die Entwicklung in der Kunst ging an Turnov damals vorbei. Zwar kamen hier ein paar Schmuckzeitschriften an, dies waren aber eher Verkaufsmagazine, und innovative Gedanken fand man darin nicht. Während also Idar-Oberstein immer bedeutender wurde, stagnierte die Entwicklung in Turnov oder ging sogar zurück.“
Nach der Samtenen Revolution wurde dann die Zusammenarbeit mit der westdeutschen Stadt aufgenommen. Daran hatte auch Miroslav Cogan großen Anteil: „Meine persönlichen Kontakte mit Idar-Oberstein reichen bis in die 1990er Jahre zurück. Die erste Begegnung fand statt, als auf meine Einladung hin Bernd Munsteiner an unserem internationalen Schmucksymposium teilnahm. Er ist bis heute ein sehr bedeutender Juwelen-Designer. In den 1960er Jahren war er völlig neue Wege im Schleifen von Edelsteinen gegangen.“
Das erste internationale Schmucksymposium wurde in Turnov im Jahr 1984 veranstaltet. Bis heute kommen alle zwei Jahre Schmuckgestalter aus der ganzen Welt im Böhmischen Paradies zusammen, um an Geschmeiden zu arbeiten und sich gegenseitig auszutauschen. Die nächste Zusammenkunft ist für Oktober dieses Jahres geplant. An den Symposien nahmen in der Vergangenheit oft auch Schmuckgestalter aus Idar-Oberstein teil. Die Zusammenarbeit mit der Stadt in Deutschland erwies sich im Laufe der Jahre als so gut, dass sich einige Bürger Turnovs für eine Städtepartnerschaft einsetzten.
„Ausgehend von unserer guten Kooperation im Bereich Schmuck und Edelsteine haben wir die Stadtverwaltung von Turnov schließlich überzeugen können, dass eine solche Städtepartnerschaft sinnvoll wäre. Denn die Herausforderungen, vor denen man in beiden Städten steht, sind ähnlich – die Schulbildung und die Berufsausbildung zum Beispiel.“
2006 wurde schließlich der Partnerschaftsvertrag unterschrieben. Cogan betont: „Die Städtepartnerschaft funktioniert bis heute. Wie alle derartigen Kontakte zwischen zwei Städten beruht sie aber auf der Zusammenarbeit und den freundschaftlichen Beziehungen einiger weniger Bürger. Diese müssen sich engagieren und gemeinsam Projekte realisieren.“
Ebensolche fruchtbaren Freundschaften pflegt Miroslav Cogan mit den Vertretern der Fachrichtung Edelstein und Schmuck der Hochschule Trier seit vielen Jahren. Etwa mit Theo Smeets, der die Fachrichtung leitet und gemeinsam mit seinen Kollegen die Exponate für „Let There Be Rock“ ausgewählt hat. Schon im Jahr 2011 hatte es die Ausstellung „Idar-Oberstein kreativ“ gegeben. Auch damals wurde der Schmuck aus Deutschland im Museum des Böhmischen Paradieses präsentiert.
„Von den klassischen Werken aus dem 19. Jahrhundert bis zum modernen Design gab es bei der Ausstellung ‚Idar-Oberstein kreativ‘ alles zu sehen. Schon damals haben mich aber die moderneren Stücke am meisten begeistert. Deswegen zeigen wir auch jetzt aktuelle Werke aus der Hochschule.“
In Turnov ausgestellt sind nun Exponate, die Studierende der Fachrichtung Edelstein und Schmuck in Idar-Oberstein in den letzten zehn Jahren angefertigt haben. Miroslav Cogan berichtet, dass eigentlich 120 Werke ausgestellt werden sollten. Schließlich haben aber nur 60 Ausstellungsstücke in der Schatzkammer Platz gefunden – auch weil die Exemplare, relativ groß seien und ihren Platz bräuchten, wie Cogan mir erklärt.
Besondere Maße hat etwa eine Kette, die gleich beim Betreten eines weiteren Ausstellungsraumes meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie hat einen Umfang von vielleicht zwei Metern, auf einem dicken Strick sind fast fünfzig etwa faustgroße Steine aufgefädelt. Diese haben verschiedene gedeckte Farbtöne und sind – so scheint es – relativ grob rundgeschliffen worden. Ich äußere, dass doch niemand so eine große Kette tragen kann. Darauf Miroslav Cogan: „Im Schmuck gibt es seit den 1950er und 1960er Jahren die Tendenz, sich der bildenden Kunst anzunähern. Ob etwas tragbar ist, tritt dabei in den Hintergrund. Sie haben aber Recht, denn diese Kette wiegt über 20 Kilogramm. Das kann wirklich niemand tragen.“
Es gibt aber auch Schmuckstücke, die gut zu tragen wären. Cogan zeigt auf einen großen Anstecker mit einem ganz besonderen Aktualitätsbezug: „Die Broschen sind ganz wunderbar. Diese eine etwa reagiert auf die Masken, die wir während der Corona-Pandemie alle tragen mussten. Es ist das Gesicht eines Mädchens mit einem Mund-Nasen-Schutz zu sehen.“
Der Schmuck der Studenten ist aktuell und progressiv. Aber auch in Idar-Oberstein gibt es gerade Kreationen zu sehen, die reziprok aus dem Böhmischen Paradies stammen. So werden derzeit in der Villa Bengel Schmuckstücke aus der Turnover Sammlung ausgestellt, die im Rahmen der internationalen Symposien entstanden sind. In der rheinland-pfälzischen Schmuckhauptstadt gibt es zudem noch zwei weitere Ausstellungen.
„Auf dem Campus stellt der Schmuckgestalter Jiří Urban aus Turnov seine Werke aus“, sagt Cogan. „Die Exponate befinden sich in der Eingangshalle der Hochschule. Sie sind also gut sichtbar für die vorbeigehenden Studenten. Jiří Urban ist auch dafür bekannt, dass er Kopien von Krönungsinsignien anfertigt. Vier dieser einmaligen Duplikate sind in der Kreissparkasse Idar zu sehen.“
Die drei Ausstellungen in Idar-Oberstein können noch bis zum 16. Juni besucht werden. Im Museum des Böhmischen Paradieses gibt es die Werke der Studierenden aus Deutschland noch bis 21. Juni zu betrachten. Dann kehrt die Dauerausstellung in die Schatzkammer zurück, die herausragende Werke aus der Turnover Berufsschule für das Schleifen und Setzen von Edelsteinen zeigt. Bis vielleicht schon ganz bald die nächste Ausstellung mit einer Menge Edelsteinen aus Deutschland nach Turnov rollt. In diesem Sinne: „Let There Be Rock!“
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